Stadtwohnen. Zurück in die Stadt!
Loft-Living
Schon in den 40er-Jahren wurden in London und New York leer stehende Industriegebäude zu Wohnzwecken umfunktioniert. Seit den 90ern setzt sich dieses Wohnerlebnis auch in Leipzig mehr und mehr durch.
Lofts sind ursprünglich einfache offene Räume, die sich über die ganze Etage eines Industriegebäudes erstrecken. Der aus dem amerikanischen Englisch stammende Begriff bezeichnet auch einen Dachboden oder das Obergeschoss eines Lagerhauses bzw. einer Fabrikhalle. Das sogenannte Loft-Living in seiner ursprünglichsten Form war die Antwort auf den Mangel an preiswertem Mietraum zum Wohnen und Arbeiten.
Ende der vierziger Jahre entdeckten erste Künstler die ungenutzten Räume
In New York wurden die meisten Loft-Gebäude am Ende des 19. Jahrhunderts errichtet. Besonders im Stadtteil Soho prägten Industriegebäude für Manufakturen, Druckereien, Lagerhallen und andere Produktionsbetriebe die urbane Stadtlandschaft. In den 1930er- und 40er-Jahren zogen die Industriebetriebe in größere Gebäude am Stadtrand. Die weitläufigen Zweckbauten, meist in Stahlträgerkonstruktionen errichtet, blieben leer und ungenutzt zurück. Bereits Ende der vierziger Jahre entdeckten erste Künstler die ungenutzten Räume für sich.
Soho wurde daraufhin zu dem Viertel für die ersten Künstlerkolonien, die auf der Suche nach großzügig angelegtem und dennoch erschwinglichem Wohn- und Arbeitsraum waren. Die Bausubstanz wurde selten verändert. Oft stellten die Bewohner nur einige Möbel oder Atelier-Utensilien in den Raum und begnügten sich mit verhältnismäßig wenig Wohnkomfort. Aus dieser speziellen Atmosphäre heraus entwickelte sich nach und nach eine eigene Ästhetik und ein eigener Lebensstil.
Die Inbesitznahme der ungenutzten Bauten war in den frühen Zeiten der Lofts meist illegal. In den Fünfzigern wurde die Bezeichnung Loft mit einer politischen Bewegung auf der Grundlage eines eigenen Freiheitsbildes gleichgesetzt. Die damaligen "ersten Hausbesetzer", Studenten und Künstler, erkannten die Kunst als festen Bestandteil ihres alltäglichen Lebens an. Der bedingungslose Konsum, die intolerante Gesellschaft und die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus der Stadt waren ausgemachtee Feindbilder.
"The Factory" in New York - Soho zählt zu den berühmtesten Künstler-Lofts
Die spartanische Wohnkultur der Lofts, ohne Heizung und Wasseranschluss wurde zum Bestandteil des Images der Boheme und der progressiven Künstlerszene. Ihre großzügigen Räume boten ausreichend Platz für die Ateliers und Kunstprojekte. Zu den berühmtesten Künstler-Lofts überhaupt gehört "The Factory" in New York - Soho. In diesem silberfarbenen Gebäude wirkte Andy Warhol in den 1960er-Jahren, als er den Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn erreichte.
Als weitere Gruppe zogen alsbald kommerzielle Nutzer von Galerien, Restaurants, Läden und ähnlichen Einrichtungen nach. Die Loft-Szene begann sich zu einem Gesamtkonzept zu entwickeln. Soho wurde ein Beispiel für eine umgreifende Neustrukturierung und internationales Vorbild für den Stadtumbau. Mit der offiziellen Legalisierung der Lofts als Wohnraum in den 1990er- Jahren ist der halb illegale und improvisierte Lebensstil der Pioniere inzwischen einem kontrollierten Prozess architektonischer Umwandlung gewichen.
In Deutschland, insbesondere in Berlin, wurden Lofts in den 60er-Jahren von der Studentenbewegung als Experimentierfeld für neue Formen des Zusammenlebens populär - vor allem in alten kleineren Fabrikgebäuden, die relativ zentral lagen. Später nutzten viele Freiberufler und Künstler die großen unkonventionellen Räumlichkeiten mit ihren reizvollen architektonischen Reminiszenzen an die Industriegeschichte. Heute sind Lofts nicht nur bei Kreativen beliebt, die darin Beruf und Freizeit miteinander vereinen. Ihre hohen, teilweise zweigeschossigen Räume, die großen transparenten Fensterflächen und die nur visuell voneinander getrennten Bereiche haben sich inzwischen eine feste Fangemeinde an Individualisten erobert. (Jan Hilpert)